Prostival - die Legende
Sie kamen aus ganz Europa und aus Übersee, es waren mehr als 100000 (es waren exakt 523).Niemand hat sie genau gezählt, niemand hat sie überwacht. Drei Tage und drei Nächte haben sie den besten Prosanauten und Prosaunisten der Welt gelauscht.
Die Idee dazu hatten die Geschwister Kat und Katha McKenzie, weil, so Katha, bevor sie wie ein Löwe fliehen musste: „If the generation gap is to be closed we older people have to do more than we have done.“ Leider hat kein McKenzie ihr je verziehen, und so zieht sie noch immer rastlos umher, findet keinen Frieden.
Der Gastgeber war das Literaturhaus Rostock, der Treffpunkt eine Wiese an einem See, im Wald von Liepen, in der Nähe einer größeren, nicht näher bezeichneten Stadt, die jetzt nicht unbedingt am Rande Mecklenburgs liegt, aber auch nicht gerade in seinem Herzen. ***
Sie saßen, sie staunten, sie hörten diszipliniert zu, genossen die Freiheit, die Freundschaft und die Liebe. Niemand war aggressiv, zwischen den Tausenden (s.o.) wuchs eine Gemeinschaft, sie teilten miteinander, was sie hatten.
Mehr als die Hälfte war zwischen 17 und 22 Jahre oder jünger.
Sie kamen allein oder mit Freunden, mit Familie und Kindern, im Kreise der Verwandten, oder mit Arbeitskollegen.
41% waren Frauen und Mädchen.
Die meisten Teilnehmer des Festivals waren Jugendliche, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienten. Sie opferten einen Teil ihres Urlaubs, um am Festival teilnehmen zu können. Und ihren Moderator Langhans in seiner gewohnt launigen Art sagen zu hören: “Zuerst will ich euch gewohnt launig sagen, dass es herrlich ist, hier zu sein. Ein wunderbares Land. Ich fühle mich so gelockert, wie nirgendwo sonst. Damit wir alle locker werden, werden wir jetzt gleich Jens Lippert auf die Bühne bitten, um ein bisschen von seiner wunderbaren Poesie für euch zu machen. Und wer das Glück hat, sein Mädchen/seinen Jungen/sein Baby*** neben sich zu haben, der/die/das*** soll seinen/ihren/irgendwas*** Arm um sie/ihn/es*** legen und glücklich sein. Was ich eigentlich sagen will: PROSANOVA ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl! Und ihr dahinten haltet jetzt gottverdammt noch mal...“
Eine Ansage, nach der das Publikum geschlossen fand, dass Lippert und Langhans natürlich recht hatten, da es hier nicht um Denken und Handeln, oder um Metaphysik und Moral ging.
Die meisten übernachteten in Schlafsäcken, viele schliefen auf dem Rasen. Oder auf mitgebrachten Stühlen.
Am ersten und zweiten Tag schwammen sie im See noch mit einem Badeanzug, am dritten Tag haben sie alle zusammen nackt gebadet. Von denen, die im Wald von Liepen waren, wird niemand die herrlichen Eindrücke vergessen, die sie während des Festivals bei Sonne, im Sturm und Regen, in der Kühle der Nacht am Feuer und im nebligen Morgen, in der Wellnessoase, in der Salztherme und beim Kanuverleih erleben durften.
Nach Tagen mit Sonne, Nächten mit Regen, Stunden über Stunden mit vorgelesenen Texten, wuchs aus dem nebligen Morgen eine neue Welt, in der Verständnis und Verstehen wichtiger ist als Unterschiede in Hautfarbe, Religion, Genre, Talent oder politischer Meinung.
Es war ein Festival, an dem solche Worte fielen, dass alle Anwesenden wussten: wenn solche Worte fallen – können sie dann gelogen sein? Es war das Festival, von dem bis heute gesagt wird: wer sich an dieses Festival erinnert, der muss wohl dabei gewesen sein.